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“Pop hat sich zu Tode gesiegt”

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Was, wenn plötzlich alles Pop ist, und Popmusik zur allgegenwärtigen Konstante der Gegenwart geworden ist? Wenn sie in alle gesellschaftlichen Bereiche hin diffundiert hat, Modell geworden ist für Methoden des Erwachsenwerdens, für Ideen von Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit oder sogar für die creepiesten Realitysoaps? Was, wenn Stars, die als Sex-Objekte genauso funktionieren wie als Verkörperung neuer Lebensformen, zum einzig erstrebenswerten Berufsziel werden? Wenn die Popmusik mit ihren Sei-du-selbst-Imperativen und ihren rebellischen, nonkonformistischen Haltungen die öffentlichen, politischen und privaten Bereiche des Lebens gleichzeitig penetriert?

(c) Kunsthaus Graz

Dann hat Pop “sich zu Tode gesiegt.”

Um neue Fortschritte bei der Selbstbeobachtung zu machen, um sich weiterzuentwickeln, reicht Selbstreferentialität dann plötzlich nicht mehr aus. Ein Anderswo muss her – anders organisierte Ausguckposten, Reibepunkte oder Unterscheidungsmöglichkeiten, mit denen die Popmusik konkurrieren oder zusammenarbeiten kann. ”Sonst versinkt sie in der Entropie ihrer Allgegenwärtigkeit.” Dieser Ansicht ist zumindest Diedrich Diederichsen.

Das Anderswo sucht er (klarerweise) in der bildenden Kunst. Dort, wo sich in den letzten 50 Jahren ein lebendiger Transfer zwischen den beiden kulturellen Formaten entwickelt hat, setzt der Kulturwissenschaftler, Autor und Poptheoretiker mit seinen Überlegungen an. Diesmal aber nicht in seiner gewohnten Rolle als Textproduzent, sondern als Kurator. Drei Generationen an KünstlerInnen hat er im Kunsthaus Graz zusammengetrommelt, deren Methoden und Fragestellungen die Körperpolitik, die Wissensproduktion und das Weltverhältnis der Pop-Musik für ihre eigenen Zwecke einsetzen.

Schere – Stein – Papier

Vier riesige Hüpfburgen für Kinder, wie man sie vom Volksfest kennt, stehen im Zentrum des space 1 im Kunsthaus Graz. Über das ganze Stockwerk hinweg dröhnt der grässliche Lärm von Industriegebläsen, die die Plastikschlösser und Riesenpilze in Form halten, vermischt mit fragmentarischen Gitarrensounds. Der Raum ist abgedunkelt. Es riecht nach PVC. Aus dem Inneren des grotesken Rummelplatzes blitzt grelles Stroboskoplicht, von außen sind extrem zerhackte Projektionen auf die Burgen geworfen. Menschen als Clowns oder Spielkarten verkleidet wechseln sich mit Porno-Schrott ab. In einer höchst zugespitzten Weise werden die grotesken Formen und Narrationen, in denen sich Kinder normalerweise austoben, mit absurden Formen des Austobens für Erwachsene kombiniert.

(c) Kunsthaus Graz

Mike Kelley "Sex, Drugs And Rock 'n' Roll Party Palace". Eine Karikatur dessen, was man Spaßgesellschaft, nennen könnte.

Der Produzent dieses sarkastischen Monuments ist der Installationskünstler Mike Kelley. Mit den Jumpies, wie er die Hüpfburgen nennt, tritt er aber nicht nur gegen den allgegenwärtigen Imperativ an, so viel Spaß wie möglich zu haben, sondern formuliert gleichzeitig eine Totalabsage an jegliche romantische Vorstellung von Rock ‘n’ Roll als avantgardistische, revolutionäre Bewegung. Dabei zählt gerade er als Ex-Mitglied bei Destroy All Monsters genau zu jenen, die diese revolutionäre Haltung einer Rock ‘n’ Roll Avantgarde im Punk und Noise-Rock Anfang der 70er Jahre vorangetrieben haben. Irgendwo muss aber der Glaube an die Tugenden des Rock ‘n’ Roll verloren gegangen sein.

Der 55-jährige Künstler aus Detroit gehört schon zur zweiten Generation, wie Diedrich Diederichsen sie nennen würde – einer zweiten Generation von Künstlerinnen und Künstlern, die in ihrer Entwicklung maßgeblich von Popmusik beeinflusst wurden.

Hochmoderne vs. Massenkultur

Die Anfänge der Liebesbeziehung zwischen Popmusik und bildender Kunst datiert Diederichsen zurück in die 1950er und 60er Jahre. Wobei die Welt der Kunst anfangs ein wenig brauchte, um sich der neuen Kulturform anzunähern. Die Kunst steckte damals noch in einem hochmodernistischen Paradigma.

Da ging es noch ganz stark darum, eine anti-illusionstische, anti-kulturindustrielle, ihre eigenen Produktionsbedingungen reflektierende Kunst zu entwickeln – in einem demokratischen, kritischen Sinne. Da war die Popmusik nicht auf dem Schirm.”

Andererseits wurde aber auch bald klar, dass die Popmusik der 60er Jahre sehr stark mit den radikalen politischen und sozialen Bewegungen verbunden war. Und so machten sich bildende Künstlerinnen und Künstler wie Robert Smithson, Gustav Metzger, Andy Warhol oder Dan Graham immer öfter Gedanken über dieses neue kulturelle Format Pop.

Art & Language und The Red Krayola

Einer dieser frühen Protagonisten, Mayo Thompson, gründete 1966 die immer noch bestehende, und somit wahrscheinlich dienstälteste Noise-Rock Band der Welt The Red Krayola. Nach Jobs als künstlerischer Assistent für den Pop-Art Künstler Robert Rauschenberg in New York trifft er auf die Künstlergruppe Art & Language und nimmt ein Album mit ihnen auf. Die radikalen Konzeptkünstler und ihre Sprachwissenschaft beeinflussen The Red Krayola nachhaltig.

Nach Graz kommen Art & Language mit einer Karaoke-Installation mit Songs von The Red Krayola. Man ist dazu aufgefordert, selbst zum Mikrofon zu greifen, und selbst Teil der Installation zu werden. Karaoke weniger als musikalisches, sondern eher als soziales Erlebnis. Und schon sieht man sich damit konfrontiert, singenderweise die marxistischen Thesen von Art & Language zu vertreten.

Kim Gordon & Jutta Koether

Mit Karaoke beschäftigten sich auch schon Kim Gordon und Jutta Koether. Beide sind bildende Künstlerinnen, beide arbeiten aber auch in Bereichen der Popmusik. Kim Gordon bei Sonic Youth, Jutta Koether als Musikjournalistin und Schriftstellerin. Bei “Reverse Karaoke” einer Arbeit von 2005, drehten die beiden das Karaoke-Prinzip um, indem sie das Publikum an Schlagzeug, Gitarre und Bass Platz nehmen ließen. Die BesucherInnen instrumentalisierten Kim Gordons Gesangspur und nahmen dann gleich eine Schallplatte der eigenen Performance mit nach Hause.

Im Kunsthaus installieren die beiden drei Schallschutzkabinen, mit Material ausgekleidet, wie man es aus Tonstudios kennt. Im Inneren laufen Videos mit extremen Performances, teilweise found footage, teilweise selbst gedreht. Bei ihrem Video “Two Dead Sluts One Good Fuck” treiben sich vier junge Männer der gleichnamigen Band mit Lärm in den Exzess. Ein kleines Tonstudio dient als Bühne für ihre aggressive Noise-Punk-Performance. Einer von ihnen steht nackt am Synthesizer, einer schreit ins Megaphon, am Ende wird das Inventar zerstört. Für Diedrich Diederichsen eine dialektische Verbindung zwischen dem extremen Austoben und Lärm einerseits und einer akustischen Isolierung andererseits.

Generation 2

Kim Gordon und Jutta Koether zählt Diederichsen genauso wie Mike Kelley zur Generation 2 der Künstlerinnen und Künstler, die sich mit Popmusik beschäftigen. Sie sind, so wie auch der Kurator selbst, in den mittleren oder späten 50er Jahren geboren.

“Das sind Leute, deren ödipale Konflikte, deren Politisierungsphasen und deren sekundäre Sozialisation viel mit Popmusik zu tun haben. In ihren Arbeiten thematisieren sie genau diese Aspekte von Pop sehr stark. Sie leben nicht mehr vom Gegensatz hochmodernistischer und massenkultureller Ästhetik, sondern vertreten vor allem Elemente von avantgardistischer und experimenteller Popmusik-Ästhetik gegen das langsam zerfallende modernistische oder teilweise auch postmodernistische Paradigma.”

Cory Arcangel

Einen Stock tiefer geht es ruhiger zu. Auf space 2 hat Diedrich Diederichsen ein “Stationendrama” arrangiert, wie er es selbst nennt. Die Arbeiten sind in Black Boxes, Nischen oder Ecken installiert, manchmal fügt sich auch ein whitecube in die Architektur des Kunsthauses ein. Diese Arbeiten sollen für sich stehen und wenn sie mit Sound arbeiten, reicht dieser nicht über den Kopfhörer oder über die Nische hinaus. So wie die Installation von Cory Arcangel. Mit einer selbstgeschrieben Software analysiert er ein Klavierstück von Schönberg, baut es nach, nimmt aber als Ausgangspunkt ausschließlich Klänge von Katzen, die er aus Youtube-Videos gesampelt hat.

500 Katzen und 5000 von ihnen produzierte Töne sind die Basis von Arcangels Arbeit

Die Band Lago Morto wurde extra für die Ausstellung in Graz gecastet, um ein Monat lang täglich ein Konzert zu spielen. Nicht unüblich, wenn man das Leben von MusikerInnen auf Tour kennt. Der Unterschied hier: Die Band spielte ausschließlich im Heimatort des Künstlers Nico Vascellari, jeden Tag in einer anderen Venue. Weil Vittori Veneto nicht gerade mit Venues protzt, spielen sie in Eisdielen, Pizzerien und Jugendhäusern. Die Dokumentation der Gigs, des gesellschaftlichen und politischen Aufruhrs in der norditalienischen Kleinstadt hat Vascellari für die Ausstellung dokumentiert.

(c) Kunsthaus Graz

Generation 3

Cory Arcangel und Nico Vascellari gehören beide innerhalb Diederichsens System von Künstlerinnen und Künstlern, die sich mit Popmusik beschäftigen, der dritten und vorerst letzten Generation an. Also diejenigen, die weder die hochmodernen Positionen der Kunst bis zu den 60er Jahren erlebt haben, noch die Phase in der Popmusik mit Pubertät, Revolte oder Aufbegehren zu tun hatte. Sie sind mit Popmusik, als selbstverständlichem Bestandteil aller Ausdrucksformen aufgewachsen. Pop war alles und überall für die KünstlerInnen-Generation der um die 30-Jährigen. Sie haben keine drastische, emphatische Beziehung zu Popmusik und ihren Effekten, sondern eine völlig alltägliche, was die Anzahl an Thematisierungen von Popmusik in ihren Lebensgeschichten nochmal in die Höhe schnellen hat lassen.

“Schere – Stein – Papier” und andere vor kurzem stattgefundene Ausstellungen sind wahrscheinlich die letzte Runde, in der man den Bezug auf Popmusik und ihre Geschichte so herausheben kann. Dann wird wohl wieder die Dominanz des Thematischen regieren. Ein Ausverkauf ihrer Geschichte ist die Ausstellung aber deshalb nicht, auch keine Freakshow im sicheren Hafen des Museums. Viel eher zeigt die Ausstellung neue Zusammenhänge zwischen konkurrierenden Ausdrucksformen auf und stellt eine Menge Fragen, die in letzter Konsequenz in eine kulturwissenschaftliche Auseinandersetzung münden.

Wenn es Zeiten gab in denen sich die Kunst in erster Linie mit der Natur und ihrem perfekten mimetischen Abbild befasste, oder wo der ganz spezielle Ausdruck eine wichtige Rolle spielte, wie etwa im Expressionismus, dann befinden wir uns wohl gerade jetzt in einer Epoche, in der die Beschäftigung mit Popmusik, ihren Effekten und Spielarten ins Zentrum der Kunst gerückt ist.

Was bleibt, ist die Frage, was sich die Popmusik von einer Ausstellung wie dieser mitnehmen kann, bevor sie sich gar in der “Entropie ihrer Allgegenwärtigkeit”aufzulösen droht. Wo und wie sonst könnte man dann all die außergewöhnlichen und gewöhnlichen Interaktionsweisen, Lebensformen, Freiheitsversprechen, Glücksempfindungen, Erschöpfungszustände, Handlungsintuitionen und Erkenntnisblitze praktizieren, wenn nicht in und mit der Popmusik? Was würden wir tun? Wohin ausweichen? Aber, eine Zeit lang wird sie’s schon noch machen, die gute alte Tante Pop.

Schere – Stein – Papier Pop-Musik als Gegenstand Bildender Kunst läuft bis 30.08.2009 im Kunsthaus Graz. Am 30.06.2009 Diskussion/Performance  ”Rock ist tot!” und Lago Morto (Nico Vascellari & Band) live

Zum Nachhören

Diederich Diederichsen über die Unterscheidungsmerkmale der Felder Kunst und Pop, Wissensproduktion in der Popmusik und antiautoritäres Verhalten gegenüber der neoliberalen Verwertbarkeit von beiden. (19:42 Min. | 18,2 MB)

Dieser Artikel ist am 7. Juni 2009 auf fm4.orf.at erschienen.


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